Die Bestandsplanung ist eine wichtige, aber auch herausfordernde Disziplin innerhalb des Supply-Chain-Managements. Der Sicherheitsbestand (oder Pufferbestand) ist die Menge an mitgeführtem Bestand, um einen Materialmangel zu verhindern. Die Berechnung des idealen Sicherheitsbestands ist oft volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig. Wo muss ich also anfangen, um meinen Bestand ideal einzurichten? Einfach ausgedrückt: Ein klares Verständnis der Durchlaufzeiten, der angestrebten Servicelevels, der Bedarfs- und Verbrauchssituation und weiterer geschäftsspezifischer Faktoren muss berücksichtigt werden.
Geschäfts Einfluss
Aber lassen Sie uns ein paar Schritte zurückgehen und eine geschäftliche Perspektive einnehmen. Warum ist es so wichtig, einen idealen Lagerbestand zu haben? Die Antwort ist einfach. Ein ungenauer Lagerbestand hat einen großen Einfluss auf die Geschäftskosten und den Umsatz. Ein zu geringer Bestand birgt das Risiko von Fehlbeständen, während ein zu hoher Bestand zu einer zu hohen Bindung von Betriebskapital führt. Beide Szenarien haben finanzielle Auswirkungen. Einerseits muss die Produktion aufgrund nicht verfügbarer Materialien gestoppt werden, was Stillstandskosten verursacht. Andererseits können sich nicht erfüllte Kundenaufträge in zusätzlichen Gebühren, Vertragsstrafen oder im schlimmsten Fall im kompletten Verlust von Kunden manifestieren. Das Führen eines gut kalkulierten Sicherheitsbestandes kann Stockouts auf Basis des gewünschten Service Levels verhindern und das Working Capital optimieren.
Verstehen der (Ziel) Service Level
Der Begriff Service Level bezieht sich auf die Kundenperspektive und darauf, wie ein Unternehmen bereit ist, seine Kunden zu bedienen. Bei der Betrachtung der Definition stellt der Servicegrad einen Prozentsatz dar, wie viele Fehlmengen ein Unternehmen zu riskieren bereit ist. Ein Servicelevel von 95 % besagt, dass das Unternehmen bereit ist, 5 % Fehlbestände während der Nachschubzyklen zu akzeptieren. Service Levels können nach Bedarf angepasst werden. Es ist jedoch wichtig zu bedenken, dass ein höherer Servicegrad einen deutlich höheren Sicherheitsbestand erfordert. In der Sicherheitsbestandsberechnung wird dieser Faktor als R-Faktor (oder Z-Faktor) bezeichnet. der R-Faktor wird durch die umgekehrte Standardverteilung bestimmt. Der Sicherheitsbestand ist nicht dazu gedacht, ein Unternehmen vor allen Ausfällen zu schützen, sondern nur vor der Mehrzahl der Ausfälle.
Wie viel Risiko ist akzeptabel – Gegen Varibilität beschützen
Die Berechnung des idealen Sicherheitsbestands erfordert solide Kenntnisse über die Variabilitäten in der Lieferkette (Abbildung 1). Faktoren, die bei der Berechnung des Sicherheitsbestands häufig berücksichtigt werden, sind die Variabilität der Durchlaufzeit und die Variabilität der Nachfrage während der Durchlaufzeit. Diese beiden Dimensionen haben den stärksten Einfluss auf den Sicherheitsbestand, aber sie sind nicht die einzigen Unsicherheiten. Die Prognosequalität und die Höhe des Nachschubs sind Faktoren, die hinzugefügt werden können, um den Sicherheitsbestand zu einem späteren Zeitpunkt anzupassen.
Risiko von Nachfragen Variabilität
Die tatsächliche Nachfrage nach Produkten und Materialien kann stark variieren. Einige Materialien haben eine konstante Nachfrage über das gesamte Jahr, während andere Produkte eine hohe Variabilität aufweisen können. Materialien mit konstantem Bedarf lassen sich leichter planen und erfordern einen geringeren Sicherheitsbestand. Im Gegensatz dazu können Materialien mit einer starken Saisonalität oder einer sehr häufigen Nachfrage schwieriger zu prognostizieren sein und erfordern einen höheren Sicherheitsbestand. Dies ist oft auf unvorhergesehene Ereignisse zurückzuführen (z. B. ein Frachtschiff, das im Suez-Kanal festsitzt).
Risiko von Durchlaufzeitvariabilität
Ein kritischer Faktor bei der Herstellung von Produkten, die aus mehreren Komponenten und Materialien bestehen, ist die Durchlaufzeit. Industrien, die stark von Durchlaufzeiten betroffen sind, leiden am meisten unter der Variabilität der Durchlaufzeit. Die Beseitigung oder Reduzierung der Durchlaufzeitunsicherheit optimiert den idealen Sicherheitsbestand und sorgt für eine stabile Produktionsleistung. Dies hat positive Auswirkungen auf die eigene Durchlaufzeit(Output)-Konstanz.
Formeln berechnen
Bei der Berechnung des Sicherheitsbestands haben Unternehmen verschiedene Möglichkeiten, den richtigen Wert zu ermitteln. Die Wahl der richtigen Formel ist abhängig vom Unternehmen selbst, von den verfügbaren Daten, dem angestrebten Servicegrad und der gewünschten Genauigkeit. Die folgenden Ansätze bieten eine Auswahl an Berechnungen.
A: Traditioneller Ansatz
Bedarf (Tagesumsatz)× Zeitraum= Sicherheitsbestand(Beispiel: 5.000 Einheiten× 30 Tage (1 Monat) = 150.000 Einheiten/Monat)
Dient als Faustformel für den täglichen Absatz und den für einen bestimmten Zeitraum (z. B. einen Monat) vorzuhaltenden Lagerbestand. Durch einfaches Multiplizieren der Formel erhält man die Anzahl der Einheiten, die über den definierten Zeitraum benötigt werden. Der traditionelle Ansatz dient als guter Ausgangspunkt.
B: Verringerung der Nachfragen Variabilität
R-Faktor × √(Gesamte Durchlaufzeit/Periode)× σ Bedarf = Sicherheitsbestand
Formel B kann verwendet werden, wenn die Unsicherheit nur aus der Perspektive der Durchlaufzeit besteht und zusätzlich ein konstanter, zuverlässiger Bedarf erforderlich ist, um diese Formel anwendbar zu machen. Unter der Annahme, dass die Nachfrage die einzige Unsicherheit ist, sieht die Formel wie oben abgebildet aus.
C: Verringerung der Durchlaufzeitvariabilität
R-Faktor × σ Gesamtdurchlaufzeit× ø Bedarf = Sicherheitsbestand
Bei konstantem Bedarf und variierenden Vorlaufzeiten muss die Formel entsprechend angepasst werden.
D: Verringerung der eigenständigen Variabilität bei der Nachfrage und Durchlaufzeit
R-Faktor × √ (Gesamtdurchlaufzeit/Periode× σ-Bedarf) + (σ Gesamtdurchlaufzeit× ø Bedarf)= Sicherheitsbestand
Der vierte Ansatz kombiniert die Berechnung beider Unsicherheiten (B und C) und setzt sie in Beziehung, während er sie unabhängig voneinander betrachtet. Er ist die effektivste Berechnungsgrundlage für die Bestimmung der Sicherheitsbestände.
E: Berücksichtigung von zusätzlichen Variabilitäten im Supply (Gelieferte Menge)
R-Faktor × √((Gesamtdurchlaufzeit/Periode× σ-Bedarf) + (σ Gesamtdurchlaufzeit× ø Bedarf)+ (σ Bedarfsmenge))= Sicherheitsbestand
Andere Faktoren können in die Formel aufgenommen werden, um den letzten Ansatz zu verstärken und anzupassen. Es werden nur die Dimensionen empfohlen, die einen signifikanten Einfluss auf die Stock- und Service Level haben.
Einschränkungen
Jedes Unternehmen ist einzigartig und hat unterschiedliche Anforderungen an die Inventarisierung. Daher gibt es keine Standardlösung. Der Prozess der Berechnung des idealen Sicherheitsbestands ist ein iterativer Prozess: Die Formel muss getestet und angepasst werden. Nachfrageschwankungen werden durch künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen immer besser vorhersehbar, dennoch ist alles, was erreicht werden kann, eine weitere Reduzierung der Unsicherheit. Fortschritte bei der Vorhersage und Berechnung des Sicherheitsbestandes können sich zwar verbessern, aber es wird immer wieder zu kurzfristigen Bestandseinbrüchen kommen. Alle Formeln sind durch ihre mathematischen Möglichkeiten begrenzt. Extreme, wie z. B. einzelne, weit abweichende Werte, Saisonalität oder andere nicht alltägliche Ereignisse, werden das Ergebnis erheblich verfälschen. Die zuvor genannten Formeln bilden eine Grundlage und können mit Variablen und Faktoren angereichert werden, die diese berücksichtigen (z. B. Ausreißerkorrektur). Alle Berechnungen sind nur so gut wie die Daten, die ihnen zugrunde liegen. Bei unzureichender Datenqualität und -quantität liefern die Berechnungen möglicherweise keine brauchbaren Ergebnisse und können die Bestandsplanung gefährden. Es empfiehlt sich immer, eine Plausibilitätsprüfung durchzuführen, um kritische Folgen zu vermeiden.
Nachverfolgung des Sicherheitsbestandes
Die Economic Order Quantity (EOQ) geht noch einen Schritt weiter als die Sicherheitsbestandsberechnung und basiert auf dem Trade-off zwischen Bestell- und Lagerhaltungskosten. Diese Themen werden auch in anderen ACOPA Whitepapers behandelt.
Quellen
1.“Safety Stock Formula: How to calculate it”, D. Robinson(SKUVAULT). Accessed on May 262021 and viewable at: https://www.skuvault.com/blog/safety–stock–formula/
2.“Crack the Code: Understanding Safety Stock and masterin its equations”, P. L. King (CSCP). Accessed May 10 2021 and viewable at: https://web.mit.edu/2.810/www/files/readings/King_SafetyStock.pdf
3.“Stockout Costs and Effects on the Supply Chain”, M Murray (The balance smallbusiness). Accessed May 25 2021 viewable at: https://www.thebalancesmb.com/stockout–costs–and–effects–2221391
4.“Inventory Optimization with SAP”, M.Hoppe, 2006, SAP Press.
5.„Supply Chain Management Based on SAP Systems: Architecture and Planning Processes“, P. Mertens,etal.,2009, Springer Berlin Heidelberg.
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